FICC-Jury am Tromsø International Film Festival, 13. bis 18. Januar 2009
Das Tromsø International Film Festival TIFF findet jeweils im Januar statt, rund zehn Tage, bis in dieser Universitätsstadt (66‘000 Einwohner) 350 km nördlich vom Polarkreis die Sonne wieder aufgeht - ein idealer Zeitpunkt also, um die Tage im Kino zu verbringen, denn einigermassen hell wird es nur zwischen 11 und 13.30 Uhr - zum Festivalprogrammlesen bei «Tageslicht» reicht es allerdings meist nicht!
Das TIFF ist mit 48‘000 Eintritten (2008) das Festival mit höchsten Besucherzahlen in Norwegen, wobei das Einzugsgebiet riesig ist: Wie mir eine Sitznachbarin bestätigte, nimmt man ohne weiteres auch Ferien, um aus dem über 200 km entfernten Bodø anzureisen und eine Woche ganz der Cinéphilie zu frönen. Den Hauptteil des Publikums bilden aber natürlich die Einwohnerinnen und Einwohner von Tromsø und der näheren Umgebung sowie hauptsächlich skandinavische Presseleute.
Die 19. Ausgabe des Festivals, das sich selbst ausdrücklich als «lokal, nasjonal og internasjonal» bezeichnet, bot mit seinen rund 80 Filmen einen Einblick über das aktuelle internationale Filmschaffen, aber auch eine Retrospektive, die dieses Jahr dem tschechischen Kino gewidmet war. Neben dem Wettbewerbsprogramm präsentierte die Sektion «Horizonter» eine Auswahl von internationalen Festivalpreisträgern aller Genres, dieses Jahr mit den Länderschwerpunkten Russland und Frankreich, sowie Previews von Filmen, die in Norwegen demnächst ins Kino kommen. Die Sektion «Films from the North» zeigte Kurz- und Dokumentarfilme aus der Barents-Region und andern Polargegenden, d. h. aus Finnland, Schweden, Norwegen, Russland und Kanada. Eine Kritikerwoche, die kleine Sektion «Overdrive» für besonders schräge Filme, Spezialvorführungen und verschiedene Workshops und Seminare rundeten das reichhaltige Programm ab - nicht zu vergessen die Openair-Animationsfilmvorführungen um 9 Uhr morgens für die Kindergartenkinder!
Das Wettbewerbsprogramm umfasst zehn Filme, die alle in Tromsø ihre norwegische Premiere haben. Dem Sieger winken mit dem Aurora-Preis insgesamt rund €17‘000 (150‘000 NOK) an Verleih- und Auswertungsförderung; die FIPRESCI- und FICC-Jury hatten ausserdem noch den norwegischen Eröffnungsfilm «Jernanger» von Pål Jackman zu beurteilen. Zehn Spielfilme - aus Russland, Norwegen, Japan, Kanada, Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien und Island - und ein tschechischer Dokumentarfilm standen zur Auswahl, wobei zwei davon in der Schweiz bereits im Kino liefen («Wolke 9» und «Rusalka/Mermaid»). Während die Aurora- und die FIPRESCI-Jury sich beide für den österreichischen Beitrag «Revanche» von Götz Spielmann entschieden, zeichnete die FICC-Jury (mit György Karpati, Ungarn, Hilde Gaard, Norwegen, und Corinne Siegrist-Oboussier, Schweiz) den frankokanadischen Film «C’est pas moi, je le jure!» von Philippe Falardeau mit dem Don Quijote-Preis aus, eine ausgesprochen stilsicher und einfühlsam erzählte Geschichte über kindliche Einsamkeit und Orientierungslosigkeit, angesiedelt in den Sechzigerjahren.
Das Festival ermöglicht auch Berlin- und Locarno-Besuchern viele Entdeckungen, wenngleich man auch an einem kleineren Festival wie diesem viele Filme verpassen muss. Leider waren die tschechische Retrospektive und vor allem die «Films from the North» mit dem Jury-Fahrplan kaum kompatibel, so dass ich mir gerade von dieser vielleicht für Tromsø exklusivsten Sektion keinen Eindruck verschaffen konnte. Hervorzuheben sind - neben der eindrücklichen Kinoleidenschaft der Leute aus Tromsø, die schon um 9 Uhr früh ins Kino strömen - die gute Organisation und die ausgesprochen herzliche Betreuung, ja Verwöhnung der Gäste durch das Festivalteam: Neben verschiedenen Gelegenheiten, sich bei norwegischen Spezialitäten zu treffen und kennenzulernen, bildete eine nächtliche Hundeschlittenfahrt (inklusive Nordlicht!) den Höhepunkt des touristischen Teils dieser angenehmen Juryarbeit.
Corinne Siegrist-Oboussier, Filmpodium Zürich, Mitglied der FICC-Jury Tromsø 2009
Mitglieder der FICC-Jury: György Karpati, Ungarn, Hilde Gaard, Norwegen, und Corinne Siegrist-Oboussier, Schweiz (vlnr).