Verband Schweizer Filmklubs und nicht-gewinnorientierter Kinos
Association suisse des ciné-clubs et des cinémas à but non lucratif
Associazione svizzera dei circoli del cinema e dei cinema senza scopo di lucro
Swiss Association of Film Societies and Non Profit Cinemas

Willkommene Bereicherung07.04.2006

Willkommene Bereicherung FICC-Jury am 20. Filmfestival Freiburg (FIFF) Meine bisherigen Teilnahmen an den Filmfestivals von Locarno und Berlin beschränkten sich auf die Rolle des akkreditierten Zuschauers. Das erstmalige Mitwirken in einer Festivaljury bot neue Einblicke ins internationale Filmschaffen und Begegnungen mit Filmleuten aus aller Welt, was auch für meine Jurykolleginnen Dunja Bialas (Deutschland) und Jorunn Store Johansen (Norwegen) gelten dürfte. Die Eröffnung des Festivals mit den obligaten Reden aus Politik und Kultur war geprägt vom ausser Konkurrenz gezeigten chinesischen Film ”Season of the Horse” von Ning Cai über eine mongolische Familie im Kampf gegen das Austrocknen des Weidelandes und über den zusammenbrechenden Widerstand gegen ein Leben in der Stadt. Die Entlassung des Pferdes in die Wildnis ist der Abschied der Familie von der angestammten Heimat. Für weitere Filme ausser Konkurrenz blieb leider nur beschränkt Zeit übrig, da sich die Wettbewerbsfilme meist über den ganzen Tag verteilten und den Betrachtern oft beträchtliche geistige Mitarbeit abverlangten. Der Wettbewerb enthielt keine absoluten Highlights, bot aber viele anregende Ansätze, was auch in den verschiedenen Bewertungen zum Ausdruck kam. Eindeutiger Favorit der FICC-Jury (wie auch der oekumenischen Jury) und damit Gewinner des Don Quijote-Preises war der Film ”Be With Me” von Eric Khoo aus Singapur, der auch von der internationalen Jury mit einer lobenden Erwähnung bedacht wurde. Die Episoden um drei auf verschiedene Weise kommunizierende Personenpaare werden am Ende durch die sich selbst spielende blinde und taube Theresa Chan miteinander verbunden und sind mit naher aber nie aufdringlicher Kamera festgehalten. Die Liebe in ihren vielfältigen Erscheinungsformen und Schattierungen wird dem Publikum nachhaltig vor Augen geführt und berührt Herz und Seele. Auf eine lobende Erwähnung verzichtete die Jury mangels weiterer sich aufdrängender Filme, wenngleich ”Silk Shoes” von Yeo Kyun-dong aus Südkorea Krimielemente mit filmischer Fiktion auf amüsante Weise verbindet und ”Heremias” von Lav Diaz dem (verschiedentlich überforderten) Zuschauer das Schicksal eines philippinischen Wanderverkäufers mit oft fast quälend langen Einstellungen in acht Stunden näher zu bringen versucht (ein weiteres 10-stündiges Epos desselben Regisseurs lief im philippinischen Spezialprogramm). Immerhin wurde dieses Werk sowohl von der Hauptjury mit dem Spezialpreis bedacht wie auch von der Fipresci-Jury prämiert, während der ”Regard d’or” dem iranischen ”Be Ahestegi...” von Maziar Miri zugesprochen wurde: Die Suche eines iranischen Bauarbeiters nach seiner Ehefrau, die aus unerklärlichem Grund plötzlich verschwunden ist. Den Mitgliedern der FICC-Jury fehlten allerdings genauere Kenntnisse der sozialen und kulturellen Hintergründe zum Verstehen der gezeigten Konflikte insbesondere bei der Rückkehr der Frau. Eher nachvollziehbar war für uns die Wahl der ”Jury des jeunes”: ”Dunia” von Jocelyne Saab (Ägypten/Libanon/ Frankreich) über eine junge Frau im heutigen Kairo, die traditionelle Riten ablehnt (Beschneidung der jungen Mädchen, unterwürfige Stellung der Frau gegenüber dem Mann) und Tänzerin werden möchte. Mit der Vergabe des Publikumspreises an ”Dunia” stellten auch die Zuschauer diesen Film an die erste Stelle. Erstmals verliehen wurde der Preis Oikocredit Schweiz für ”Un matin bonne heure” von Gahité Fofana (Frankreich/Guinea): Hier wird die mögliche Vorgeschichte der beiden Jugendlichen erzählt, die im Sommer 1999 in Brüssel tot aus dem Fahrwerk einer aus Afrika kommenden Linienmaschine geborgen wurden. Den Preis für den besten Dokumentarfilm erhielten ex aequo ”Taimagura Baachan” des Japaners Yoshihiko Sumikawa und ”Doust-L’ami” von Sara Rastegar (Frankreich/Iran). Im ersten Film folgt der Regisseur während 15 Jahren einem alten japanischen Ehepaar, das in einer abgeschiedenen Oase lebt. In ”Doust” nähert sich die Filmemacherin nach und nach einem alten Schäfer und Sänger, der in den iranischen Bergen lebt. Für erheiternde Momente sorgten die im Programm ”Crescendo” gezeigten ”Da-seot-eun Neo-moo-ma-na” (Fünf ist zuviel) des Südkoreaners Ahn Seul-ki und ”La Demolitión” des Argentiniers Marcelo Mangone. Im ersten Film geht es um einen Haushalt junger Leute, die in einem kleinen Zimmer lebend mehr und mehr Bewohner aufzunehmen haben, während der argentinische Film die Nöte eines Angestellten einer Abbruchfirma beschreibt. In einem abzubrechenden Gebäude trifft der Angestellte auf einen Mann, der zum Schein sein Unternehmen noch weiterführt und das Haus partout nicht verlassen will. Die schrittweise Solidarisierung des Arbeiters mit dem in seiner eigenen Welt lebenden Geschäftsmann ist mit viel Verständnis und Humor festgehalten. Dass das FIFF eine willkommene Bereicherung der Festivalwelt darstellt, braucht nach 20 erfolgreichen Ausgaben nicht mehr betont zu werden. Der anhaltende Erfolg spricht für das ehrliche Bemühen der Verantwortlichen, dem einheimischen Publikum Filme aus vielfach unbekannten Regionen zugänglich zu machen. Neben den filmisch aufgearbeiteten Problemen, Missständen, aber auch anderen Lebensweisen können unsere Alltagssorgen fast zur Belanglosigkeit verkommen. Ralph Hofer, CinéBern, Mitglied der FICC-Jury.

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